Unzufriedenheit, Unsicherheit und Zukunftsängste sind das Substrat auf dem Protest genauso gedeiht, wie Parteien, die ihn äußern. So weit, so demokratisch. Dass davon vor allem der rechte Rand profitiert, ist kein Naturgesetz und beim genauen Hinsehen einfach zu erklären.
Alternative für Deutschland
52,8% der Wähler im Südthüringischen Landkreis Sonneberg (D) wollen eine Alternative für Deutschland. Mit Robert Sesselmann, einem medienscheuen, pausbäckigen und zumindest auf Fotos durchaus sympathisch wirkenden Rechtsanwalt, gelang es der AfD erstmals eine Landratswahl für sich zu entscheiden.
Und das, obwohl CDU, SPD, Grüne und Linke gegen Sesselmann in den Schulterschluss gingen. Es half nichts, ja mag vielleicht sogar den einen oder anderen darin bestätigt haben, seine Stimme „gegen das System" und den AfD-Mann ins Amt zu (er)heben.
Dabei gilt Thüringen als Aufsteiger unter den neuen Bundesländern. Die Verwerfungen der Wendejahre hat man längst überstanden. 5,6 % Beschäftigungslose sind das Ergebnis kontinuierlicher politischer Arbeit. 2005 lag der Wert noch bei über 17%, geht seitdem stetig zurück. Selbst der Ausländeranteil ist mit 5,8% (noch) gering - wenn auch steigend. Seit 2014 gab's da eine Verdoppelung.
Verglichen aber mit einem bundesweiten Durchschnitt von knapp 13% alles kein Beinbruch.
Arbeit schafft Einkommen, Perspektiven, Sicherheit und niemand wird einem erklären
können, dass 5% Migranten den Thüringern die goldene Zukunft streitig machen. Warum also dieser raketenhafte Aufstieg der Rechtspopulisten?
In vita veritas
Wie so oft lohnt es auch hier, sich mit den Menschen zu beschäftigen, anstatt nur über sie zu reden. Also mit den Wählern der neuen deutschen Welle in blau.
Alles wirtschaftlich Abgehängte, Ungebildete, Männer, Nazis - versucht man uns
einzureden und teilweise mags auch stimmen. Ich meine Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke darf man ganz offiziell und gerichtlich bestätigt einen „Faschisten" nennen. Und schaut man sich an, was der Mensch den lieben langen Tag so von sich gibt, wird einem ganz braun.... äh, ich meine natürlich „blau" vor Augen: Da geht's um die Wiedererrichtung des „tausendjährigen" Deutschlands, um „Volksverderber", die man dafür beseitigen müsste und darum, keine „halben Sachen" mehr zu machen, wenn einmal die „Wendezeit" gekommen sei. Nein Höcke ist kein Abgehängter, kein Ungebildeter. Höcke ist einfach nur Faschist. Seine Zukunftsvision: gemalt in Schwarz und Weiß auf Riefenstahl.
Die Wähler
Frägt sich also, wer die Wähler seiner AfD sind? Nicht pauschal, sondern ganz individuell: So wie Anna. 29 Jahre jung, Juristin, Anwältin einer renommierten Kanzlei, Aufsteigerin. Unter falschem Namen hat sie sich getraut dem „Stern" ein Interview zu geben. Die Angst als Nazibraut zum Freiwild Linker Aggression zu werden ist nachvollziehbar.
Besser aber als ihr vor die Tür zu kacken, wäre es mal zuzuhören. Mit Deutschtümelei und Verschwörungstheorie hat die Dame nichts am Hut. Ihr geht's um handfeste Sachpolitik: Die Haftungsübernahme für Schulden anderer Länder hätte in Deutschland zu einer Niedrigzinspolitik beigetragen, erklärt sie. Vermögen kleiner Sparer würden dadurch entwertet. Wer es sich leisten könne, der hätte schon längst in Immobilien investiert, damit aber auch unweigerlich die Preise nach oben getrieben. Für immer breitere Schichten rückt der Traum vom eigenen Haus, der eigenen Wohnung daher in weite Ferne.
Anna wählt AfD nicht aus Überzeugung, dass mit ihnen irgendetwas besser werden würde, sondern aus Enttäuschung über alle anderen Parteien. Sie will sich für miese Politik rächen, einen Denkzettel erteilen.
Auch das Migrationsthema sieht sie entspannt. Solange Zuwanderung in rechtlich geordneten Bahnen auf Basis demokratischer Willensbildung passiert - gäbe es kein Problem. Den Regierenden wirft sie in dieser Frage Doppelmoral vor: Beispielsweise könne man durch Hilfe vor Ort, wesentlich mehr Menschen, Familien, Kindern nachhaltig helfen, meint die Juristin. Klingt für mich alles schlüssig und so gar nicht nach Nazibraut.
Doch es ist nicht nur Anna, die Top-Anwältin. AfD Wähler gehen quer durch die Gesellschaft und immer mehr trauen sich das auch ganz offen zu sagen:
Kelly (27) ist Altenpflegerin und Mutter eines dreimonatigen Sohnes. Sie wünscht sich mehr Kindergarten-Plätze und hat Angst vor Gruppen „junger ausländischer Männer", die vor allem abends in ihrer Stadt mittlerweile allgegenwärtig wären. Verständlich.
Anja (54) ist ebenfalls in der Pflege tätig, sieht vor allem Senioren und Jungfamilien unter der Teuerung leiden. Der Regierung wirft sie vor zu wenig dagegen zu unternehmen. Andrea ist bald eine davon, zittert mit 64 Jahren ihrer Pension entgegen. Fast vier Jahrzehnte lang hat die Kaufhof-Kassiererin gearbeitet, daneben Kinder großgezogen. Bald soll sie dann mit monatlich 600€ Rente zurechtkommen. Keine Chance im Deutschland des Jahres 2025. Auf Hilfen angewiesen zu sein, will sie aber nicht – nicht für ein Leben voll Arbeit.
Auch Sicherheit ist bei vielen ein Thema. Wenn die lokale Polizeistation an nurmehr zwei Tagen in der Woche besetzt ist, trägt das nicht unbedingt zum Wohlbefinden bei, meinen Landschaftspfleger Rene (39) und Küchenhilfe Daniela (44). Auch sie haben AfD gewählt
und wie die anderen der Bild-Zeitung erklärt warum. Übrigens: Mit Foto. Man versteckt
sich nicht mehr.
Höckes Kampf
Für den Höcke-schen Kampf interessiert sich in Wahrheit aber niemand von ihnen. Hört man den Leuten zu, dann ist klar: Großdeutschland brauchen sie nicht. Das Deutschland eines Willy Brandt, eines Helmut Schmidt oder auch eines Helmut Kohls würde völlig reichen:
Aufstieg, Sicherheit, Zuversicht und selbstbewusste Politik im Sinne der eigenen Bevölkerung. Ohne „woken“ Wahnsinn, Klimafetisch und Open-Border-Weltrettungs-Träumereien. Ganz einfach.
(Kolumne erschienen auf exxpress.at am 30.06.23)
Opmerkingen