Studie: Erstmals gelingt wissenschaftlicher Nachweis des Parteifilters als urteilsverzerrendes Moment in den Köpfen von Parteipolitikern.
Institut: Universität Salzburg, Abteilung für Politikwissenschaft
Politiker haben‘s schwer. Als zentrale Rädchen im großen demokratischen Getriebe liegt es an ihnen, den vielfältigsten Anforderungen gerecht zu werden. Wünsche, Anliegen und Kritik aus der Bevölkerung aufzunehmen, einzuschätzen, zu bündeln, zu verhandeln und im idealen Falle in entsprechende Reformen und Gesetze zu gießen.
Dennoch schlägt Mandataren und Funktionären in breiten Schichten der Bevölkerung – um es vorsichtig auszudrücken – Skepsis entgegen. Vorwürfe, dass „eh alle gleich“ und „nur am eigenen Fortkommen interessierte Parteisoldaten“ wären, wiegen schwer und sind geeignet die Beziehung zwischen den Menschen und ihren Repräsentanten nachhaltig zu schädigen.
Regelhaft wiederkehrende Korruptionsskandale einzelner (Spitzen-) Politiker, genauso wie ein ans Fußende des gesellschaftlichen Vertrauens verräumter Politikerberuf, sind untrügliche Indizien dieser demokratiepolitisch toxischen Entfremdung.
Empirische Beweise blieben indes weitestgehend aus. Politikwissenschafter Markus P. Vogtenhuber hat sich deshalb vorgenommen Licht ins Dunkel zu bringen und der Frage nachzugehen: „Ob man Parteileuten (noch) trauen kann“, oder ihr Blick auf die Wirklichkeit von einem allfälligen Parteifilter verzerrt wird?
Die Ergebnisse seines Umfrage-Experiment unter mehr als 900 Parteipolitikern lassen nun die Wirkungsweise des Parteifilters und sein urteilsverzerrendes Moment nachvollziehen.
Das für manche wahrscheinlich überraschende Ergebnis: Mit großem Abstand konnte bei Angehörigen der Grünen Partei, der größte Parteifilter nachgewiesen werden. Sie beurteilen Politik am wenigsten nach dem Inhalt, sondern vor allem nach der Urheberschaft. Also danach, welche Partei für eine gewisse Politik verantwortlich zeichnet.
Demgegenüber beurteilen Kommunalpolitiker bzw. Mitglieder der Freiheitlichen Partei am objektivsten. Zwar lässt sich auch bei diesen ein Parteifilter nachweisen, bleibt in der Ausprägung aber weit hinter dem der Grünen.
Sozialdemokratische Parteipolitiker liegen im Filter-Ranking zwischen FPÖ und Grünen.
Mögliche Ursachen für dieses überraschende Ergebnis sieht Studienautor Vogtenhuber im Schock rund um das Grüne Parlaments-Aus 2017 begründet:
„Möglicherweise haben die Grünen 2017 gesehen, dass man es mit der Kritik an der eigenen Partei auch übertreiben kann und ein vermeintlicher Schuss vor den Bug leicht zum Volltreffer werden kann. Seither dürfte man auf Modus „Parteisoldat“ geschalten haben und im Zweifel der eigenen Partei auch dann die Stange halten, wenn dies inhaltlich eigentlich durch nichts zu rechtfertigen ist. Dass trotz der Causa Schilling noch immer moderate Umfragewerte (Anm.: EU-Wahl) erreicht werden, ist in meinen Augen ein weiterer Beleg dafür. Allerdings auch für die intellektuelle Selbstaufgabe der Grünen Partei.“ so Vogtenhuber.
>Presseanfragen/ Teilnahme an Diskussionsformaten/ Interviews bitte an: markus.vogtenhuber@hotmail.com; 0650 / 60 37 123
ZUSAMMENFSSUNG DER STUDIE
Institut: Universität Salzburg, Abteilung für Politikwissenschaft/ MA-ArbeitTyp: Umfrage-ExperimentBefragte: 900 Kommunalpolitiker/ bundesweitUmfragezeitraum: Oktober 2023 >>>Die gesamte Studie zum Download<<<
DIE METHODE
Grundlage der Analyse bildete ein Umfrageexperiment unter mehr als 900 Kommunalpolitikern von SPÖ, FPÖ und Grünen.
Aufgrund des Forschungsdesigns (Partei musste im Zeitraum 2013-23 sowohl in Opposition als auch in Regierungsverantwortung gewesen sein), konnten die übrigen Parteien nicht berücksichtig werden.
Schritt 1: Die Angehörigen der drei Parteien wurden jeweils in 3 Gruppen geteilt.
Gruppe 1: „Vorgabe: Urheberschaft der eigenen Partei“
Gruppe 2: „Vorgabe: Urheberschaft der gegnerischen Partei“
Gruppe 3: „Vorgabe: Urheberschaft anderer europäischer Länder“ (Neutralgruppe)
Schritt 2: Nun wurden für jede Partei 5 Testfragen erarbeitet. Zu diesem Zweck zog der Autor, Nationalrats-Wahlprogramme der Parteien und aus diesen möglichst plakative/ populistische Forderungen heran.
Schritt 3: Diese 5 Forderungen wurden nun in das Gegenteil verkehrt und als bereits zurückliegende politische Entscheidung dargestellt.
Schritt 4: Die Urheberschaft für diese, dem Wahlprogramm von Partei X maximal widersprechende Politik, wurde nun entsprechend der drei Gruppen (eigene Partei/ gegnerische Partei/ andere europ. Länder) zugewiesen.
Beispiel einer Test-Fragengruppe für Mitglieder der Freiheitlichen Partei:
FP-Forderung aus dem Wahlprogramm 2017:
„Zuwanderung stoppen und konsequente Abschiebung von Scheinasylanten“
Testfrage 1: Gruppe 1 (gegenteilige Politik/ Urheberschaft der FPÖ)
„Im Zuge eines Legalisierungserlasses von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) wurde 2018 rd. 10.000 Asylwerbern (Familien: Vater, Mutter, zumindest ein Kind) aus Syrien, Afghanistan und dem Irak ein dauerhaftes Bleiberecht ermöglicht.“
Testfrage 1: Gruppe 2 (gegenteilige Politik/ Urheberschaft der Grünen als schärfster Gegner der FPÖ)
„Im Zuge eines Legalisierungserlasses von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) wurde 2020 rd. 10.000 Asylwerbern (Familien: Vater, Mutter, zumindest ein Kind) aus Syrien, Afghanistan und dem Irak ein dauerhaftes Bleiberecht ermöglicht.“
Testfrage 1: Gruppe 3 (gegenteilige Politik/ Urheberschaft anderer europäischer Staaten = Neutralgruppe)
„Verschiedenen europäischen Staaten gelang es, ihr Asylsystem zu entlasten, indem geflüchteten Familien (Vater, Mutter, zumindest ein Kind) aus Syrien, Afghanistan und dem Irak per Erlass ein dauerhaftes Bleiberecht zugestanden wurde.“
Die Probanden (im Beispiel allesamt Mitglieder bzw. Kommunalpolitiker der Freiheitlichen Partei) wurden nun darum gebeten zu beurteilen, wie sehr sie der gezeigten Politik zustimmen:
Frage: Wie stark stimmen Sie persönlich der genannten Maßnahme zu? Bzw. sind Sie dafür diese Politik auch in Österreich zur Umsetzung zu bringen? (Szenario 3)
1: Stimme überhaupt nicht zu/ Lehne strikt ab
2: Stimme nicht zu/ Lehne ab
3: Stimme weder zu/ noch lehne ab (bin unentschlossen)
4: Stimme zu/ Unterstütze
5: Stimme voll und ganz zu/ Unterstütze voll und ganz
DIE ANNAHME/HYPOTHESE
Der Autor geht davon aus, dass die befragten Parteipolitiker sehr große Übereinstimmung mit den Kerninhalten des Wahlprogramms der eigenen Partei zeigen. Kehrt man diese – wie im gegenständlichen Experiment – in das genaue Gegenteil um, so ist daher von maximaler Ablehnung der vorgeblichen Politik auszugehen.
Um nun den Parteifilter als urteilsverzerrendes Element isolieren zu können, dienen die oben gezeigten drei Szenarien bzw. Gruppen.
Lautet das Szenario, dass nicht namentlich genannte, andere Europäische Länder eine solche Politik umgesetzt hätten, so ist davon auszugehen, dass die Probanden frei und unbeeinflusst urteilen. (Den Probanden ist nicht bewusst, dass ihre Parteizugehörigkeit bekannt ist bzw. eine Rolle spielt.)
Ist laut Szenario aber der schärfste politische Gegner für eine Politik verantwortlich, die dem Gegenteil des eigenen Wahlprogrammes entspricht, so lautet die Annahme, dass die Zustimmung noch geringer ausfallen wird.
Im Gegensatz zu einem Szenario, dass der eigenen Partei die Urheberschaft für eine, dem eigenen Wahlprogramm widersprechende Politik gibt. In diesem Falle ist davon auszugehen, dass die Parteipolitiker ihre Partei in Schutz nehmen werden und die vorgebliche Politik entsprechend besser beurteilen.
Die Ausprägung des Parteifilters wird im Weiteren über den Unterschied zwischen Eigen- und Gegnerbewertung gemessen.
0-Hypothese/ Kein Parteifilter nachweisbar: Das Urteil der Befragten aller drei Gruppen, weicht nicht signifikant voneinander ab.
1-Hypothese/ Nachweis des Parteifilters: Die Beurteilung ein- und derselben Politik weicht je nach vorgeblicher Urheberschaft signifikant voneinander ab. Bei vorgeblicher Urheberschaft der „eigenen Partei“ wird die Politik deutlich besser bewertet als bei Urheberschaft „anderer Staaten“. Bei vorgeblicher Urheberschaft des politischen Gegners wird die schlechteste Bewertung abgegeben.
DIE ERGEBNISSE
Die Resultate des Experimentes lassen dabei kaum Interpretationsspielraum zu. „Right or wrong – my country!“ als (partei-) soldatisches Dogma stellt in allen untersuchten Parteien ein wesentliches Motiv bei der Beurteilung von (Regierungs-) Politik dar – mit einigen sehr interessanten und durchaus überraschenden Variationen:
Die Parteien im Filter-Ranking
Platz | Parteibezeichnung | Eigen-Filter | Gegner-Filter | Filter-Spread | Signif. |
1 | FPÖ | +0,49 | -0,098 | 0,588 | 3/5 |
2 | SPÖ | +0,58 | -0,03 | 0,61 | 4/5 |
3 | Die Grünen | +0,72 | -0,37 | 1,095 | 5/5 |
x | Gesamt[1] | +0,63 | -0,22 | 0,85 | 12/15 |
Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ)
Im Ranking der untersuchten Parteien belegen die Freiheitlichen Platz eins, weisen den geringsten Parteifilter auf und beurteilen demnach Regierungspolitik am „objektivsten“. Mit einem „Eigen-Filter“ von 0,49 Punkten bewerten sie eigene Politik im Schnitt um knapp einen halben Punkt besser als dieselbe Politik bei neutraler Urheberschaft durch „andere Staaten“. Werden die Grünen, also der schärfste politische Gegner, als Urheber der zu bewertenden Politiken angegeben, fällt die Bewertung durch Freiheitliche Kommunalpolitiker um knapp 0,1 Punkte schlechter als bei neutraler Urheberschaft aus. Der Spread zwischen Eigen- und Gegnerbewertung beträgt 0,58 Punkte.
Bei drei von fünf Treatment-Fragen konnte ein signifikanter Unterschied in der Politikbewertung, in Abhängigkeit der Urheberschaft, festgestellt werden.
Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ)
Die Sozialdemokraten landen im Parteifilter-Ranking auf Platz zwei, nur knapp hinter den Freiheitlichen. In der Kategorie „Gegner-Filter“ gelingt ihnen sogar Platz eins. So fällt die Politikbeurteilung bei Urheberschaft des schärfsten politischen Gegners (in diesem Falle die FPÖ) lediglich um 0,03 Punkte schlechter aus als bei vorgeblicher Urheberschaft anderer Staaten (Kontrollgruppe bzw. Neutralkategorie).
Inhaltlich abzulehnende Politik wird unter vorgeblich eigener Urheberschaft, von Roten-Basispolitikern um 0,58 Punkte besser bewertet als bei Urheberschaft anderer Staaten. Der Spread zwischen Eigen- und Gegnerbewertung beträgt 0,61 Punkte.
Bei vier von fünf Treatment-Fragen konnte eine signifikante Abhängigkeit der Politikbewertung von der vorgegebenen Urheberschaft festgestellt werden.
Die Grünen – Die Grüne Alternative (Grüne)
Abgeschlagen auf dem letzten Platz landen im Parteifilter-Ranking die Grünen. Politik der eigenen Partei, die dem Gegenteil ihres Wahlprogramms entspricht, wird von Grünen Kommunalpolitikern um 0,72 Punkt besser bewertet als bei Urheberschaft anderer Staaten (Neutralkategorie). Werden die Freiheitlichen als Urheber der jeweiligen Politik ausgewiesen fällt die Beurteilung an der Grünen Basis um 0,37 Punkte schlechter aus als bei vorgeblich neutraler Urheberschaft. In Summe ergibt sich dadurch ein Filter-Spread als Unterschied zwischen Eigen- und Gegnerbewertung von knapp 1,1 Punkten, was einer gesamten Bewertungskategorie auf der fünfteiligen Skala entspricht.
Right or Wrong – My Party!
Gehen wir nun etwas weiter heraus und werfen einen Blick auf das gesamte Bild, so zeigt sich nochmals deutlich, wie der Parteifilter das Urteilsvermögen von Funktionären trübt:
Inhaltlich vollkommen abzulehnende Politik bewerten Parteipolitiker unter dem Szenario der eigenen Urheberschaft mit 2,5 Punkten.
Wird ein- und dieselbe Politik dem politischen Gegner untergeschoben, fällt die Bewertung um 0,85 Punkte schlechter aus. Unterm Strich also fast um eine ganze Antwortkategorie.
[1] Bei der Errechnung der Gesamtbewertung floss die Zahl der jeweiligen Rückmeldungen mit ein, weshalb der Durchschnittswert „Gesamt“ nicht gleich der Division der kumulierten Parteiwerte durch drei ist.
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